Bewußtheit in der Improvisation

Kapitel I: Bewegung

Alle Basisübungen sind hier nur in Auszügen veröffentlicht und als Buch erschienen:


Ungewohnte Positionen

Ein praktischer Beitrag zur Anwendung der Feldenkrais-Methode in der musikalischen Improvisation


Autor: Corinna Eikmeier
ISBN: 978-3-929379-27-3
Verlag: Musikverlag Burkhard Muth
1. Auflage Oktober 2010, 133 Seiten


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  1. Durchkämmen
  2. Motor
  3. Der Kopf im Nest
  4. Roboter
  5. Alltagsbewegungen
  6. Bewegung als Sprache
  7. Glockenbewegung
  8. Der Käfer an der Wand
  9. Verwringung
  10. Störenfriede
  11. Ungewohnte Positionen
  12. Die Uhr
  13. Skulpturen

Einleitung

Bewegungsmuster bestimmen unser Handeln


Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens Gewohnheiten. Die Bewegungsgewohnheiten beeinflussen direkt unsere Handlungen. Beim Musizieren kommt dies unmittelbar zum Tragen, da die Bewegungen für die Umsetzung der musikalischen Idee mit verantwortlich sind. Je größer das Repertoire an verschiedenen Facetten in der Bewegungsqualität ist, umso differenzierter wird auch der musikalische Ausdruck werden.

Bewegungen sind mit Spieltechnik und Tonvorstellung verbunden. Musiker sind durch ihren langen Lernprozess in Form von Üben und Unterricht in hohem Maße geprägt. Musikalische Vorstellung, Spieltechnik und Bewegung sind eng aneinander gebunden.

Um diese Gewohnheiten zu erweitern, benötigen wir ungewohnte, verrückte Aufgaben. Wir müssen uns immer wieder die Frage stellen, ob der Ausdruck sich verändert, wenn wir uns bewusst anders bewegen. Keine alternative Möglichkeit sollte eine Gewohnheit ersetzen, sondern nurdas Repertoire erweitern.


Bewusstheit in den Bewegungen


Bewegungen an sich sind hoch komplex. Durch gezielte Fragen zu einzelnen Aspekten der Bewegungen können wir die Komplexität auffächern. Je genauer das Bild von einem Bewegungsablauf wird, umso freier und durchlässiger wird die Bewegungsqualität. Als Musiker bekommen wir durch das klangliche Ergebnis ständig direkte Rückmeldung über unsere Bewegungen. Das Besondere der vorliegenden Übungen ist, dass in jeder Lektion einzelne Aspekte der Bewegungen thematisiert und mit musikalischen Aufgaben unmittelbar mit dem Hören verbunden werden. Als Basis liegen den Übungen Ideen aus der Feldenkrais- Methode zu Grunde, deren Bezug zur Improvisation im folgenden Abschnitt beleuchtet wird.


Feldenkrais ein Weg zum Improvisieren


Die Feldenkrais-Methode ist eine Lernmethode, bei der es konkret vor allem um Bewegung geht. Das Leben ist ohne Bewegung nicht denkbar und Bewegung ist immer mit unseren Handlungen verbunden, auch wenn sie nicht sichtbar ist. Wir können z.B. nicht lesen, wenn wir unsere Augen nicht bewegen. Die anderen Bestandteile des Tuns, wie Denken, Fühlen und Empfinden, sind immer mit Bewegung untrennbar verbunden. Von daher haben Veränderungen in den Bewegungsmustern auch immer Auswirkungen auf die anderen Bereiche.


Gewohnheiten und das Repertoire an Möglichkeiten


Jeder Mensch entwickelt im Laufe seines Lebens Bewegungsgewohnheiten. Diese entstehen in Beziehung zu seiner Umgebung, Kultur, seinem sozialen Umfeld und seiner Erziehung. Es ist zweifellos notwendig, dass der Mensch Gewohnheiten hat, solange diese ihn nicht in seiner Flexibilität zu Handeln behindern. Wir benutzen nur einen sehr kleinen Teil unserer Möglichkeiten. (Mosche Feldenkrais spricht von 5%.) Dieses kleine Repertoire ist zu einem großen Teil sehr unbewusst. Das ist so lange kein Problem, wie die Herausforderungen, die uns begegnen, zu unseren Möglichkeiten passen. Ist dies nicht der Fall, so kann unser Verhalten sehr mühsam werden. Wir strengen uns an und erzielen doch nicht das optimale Ergebnis. Da unsere Gewohnheiten automatisch und unbewusst ablaufen, können wir daran gar nichts ändern, so lange wir nicht bemerken, worin unsere Gewohnheiten bestehen. Es ist, wie wenn man in den eigenen Gewohnheiten gefangen ist und keinen Ausweg finden kann.

Feldenkrais selber hat seinen Schülern immer wieder gesagt: „Wenn du weißt, was du tust, kannst du tun, was du willst“ oder anders ausgedrückt: „Wenn du nicht weißt, was du tust, kannst du nicht tun, was du willst.“ Man könnte das Motto auch noch erweitern in: „Wenn du weißt, was du tust, dann kannst du entscheiden, ob du das, was du immer tust, jetzt auch tun möchtest.“ Diese Denkweise klingt so einfach - braucht aber in einem Lernprozess viel Zeit.

In einer Feldenkrais-Stunde führt der Feldenkrais-Lehrer seine Schüler mit zahlreichen Fragen durch die Stunde. Die Schüler bekommen dadurch die Chance, immer genauer ihre eigenen Gewohnheiten zu erforschen. Wichtig dabei ist, dass eine Gewohnheit nicht kritisiert wird. Es gibt in dem Sinne keine falschen Bewegungen, sondern nur manchmal ein falsches Mittel zum falschen Zweck. Wenn ein Schüler z.B. entdeckt, dass er oft die Schulter hochgezogen hält, so mag dies nicht immer die beste Haltung sein. Es gibt jedoch Bewegungen, bei denen die Schulter am besten oben ist, z.B. nach oben Greifen, oder das Einklemmen eines Telefons zwischen Ohr und Schulter.

Auch gehört zu der Erkenntnis über eine solche Gewohnheit, dass der Schüler sein ganzes Bewegungsmuster, welches zu der oben gehaltenen Schulter gehört, erforscht. Wie hält er seinen Kopf, seinen Brustkorb, sein Becken? Wie hat er sein Gewicht verlagert? Mit anderen Worten: Wie hält oder bewegt sich der ganze Mensch? Um die Gewohnheit zu ändern, können wir nicht nur an der Schulter arbeiten. Wir müssen alles, was zu der hochgezogenen Schulter gehört mit in unsere Arbeit einbeziehen. Es ist in der Feldenkrais-Methode eine Basis für Veränderungen, dass man die Gewohnheiten so genau wie möglich betrachtet, ohne sie zu kritisieren und zu früh zu verändern. Der Lernende kann seine Wahrnehmung zunehmend verfeinern und bekommt dadurch mehr und mehr ein vollständiges Bild von seinen Handlungen.

Im Bezug auf die Improvisation ist es ebenso wichtig, dass wir unsere Gewohnheiten kennenlernen. Hat der Improvisator nur ein kleines Repertoire an Möglichkeiten, so wird er ob passend oder nicht, immer wieder die gleichen Reaktionen abspulen. Sind ihm seine gewohnten Mittel bewusst, so kann er zumindest entscheiden es nicht zu tun. Je mehr Möglichkeiten er kennenlernt, um der Macht der Gewohnheiten auf die Schliche zu kommen, umso größer wird die Chance, dass er nicht nur mit bewährten Floskeln aufwartet.


Lernsituationen


Auf der Basis, dass die eigenen Gewohnheiten wertfrei erforscht werden, ist es natürlich wichtig, das Repertoire an Möglichkeiten zu erweitern. Die Aufgabe des Feldenkrais-Lehrers ist es, Situationen zu schaffen, in denen der Schüler wertfrei und unbefangen neue Möglichkeiten finden kann. Ein Weg dies zu tun ist, dass eine Bewegung in einem sehr ungewohnten Kontext ausprobiert wird. Manchmal kann dies das Gefühl hervorrufen, als würde man eine Bewegung gar nicht kennen. Nebenbei wird die Fähigkeit gefördert, sich in sehr ungewohnten Zusammenhängen zu Recht zu finden. Das wiederum ist eine Kompetenz, die in einem improvisatorischen Prozess direkt zur Anwendung kommt.


Begrenzungen


Es ist allgemein bekannt, dass kreative Prozesse nur in einem begrenzten Rahmen entstehen können. In der Feldenkrais-Methode gehören Begrenzungen oder Einschränkungen regelrecht zur methodischen Vorgehensweise. Durch Positionen oder Anweisungen bekommt der Schüler mehr oder weniger enge Begrenzungen. Er bekommt dadurch die Chance, Aspekte seiner Bewegungen zu erforschen, die er ohne die Begrenzungen nicht benutzen würde. Dadurch wird eine Erweiterung des Repertoires ohne Korrektur von außen möglich. Hier ein kleines Beispiel:

Setzen sie sich auf die vordere Kante ihres Stuhles. Beginnen sie nun ihren Kopf so zu neigen, dass sich das rechte Ohr der rechten Schulter annähert. Machen sie die Bewegung klein und angenehm und achten sie darauf, dass sie den Kopf nicht drehen. Die Nase sollte die ganze Zeit nach vorne zeigen. (Diese Anweisung ist schon so eine Begrenzung. Wenn sie gleichzeitig den Kopf drehen, so ist dies nicht falsch, aber es ist eine andere Bewegung.) Wenn sie bemerken, dass die Nase sich dreht, so können sie die Bewegung kleiner machen, so dass sie wirklich eine Seitneigung ausführen können.

Beobachten sie, ob ihre Rippen sich mitbewegen, und ob sich das Gewicht auf den Sitzhöckern verlagert. Verändern sie es nicht, sondern nehmen es einfach wahr. Nachdem sie nun eine kleine Pause gemacht haben, falten sie ihre Hände und legen die gefalteten Hände auf den Kopf. Neigen sie jetzt wieder den Kopf nach rechts. Bewegt sich der Brustkorb jetzt stärker? Durch diese Position ist weniger isolierte Bewegung im Nacken möglich. Die Schultern und der Brustkorb kommen sofort ins Spiel. Verlagern sie das Gewicht jetzt deutlicher? Nehmen sie nun die Hände wieder herunter und neigen noch einmal den Kopf nach rechts. Hat sich die Bewegung verändert?

Welche Arten von Begrenzungen in den Stunden verborgen sind, ist sehr unterschiedlich. Manche, wie die oben angedeutete, sind relativ einfach – andere können eine sehr starke Einschränkung geben. Immer hat der Schüler die Aufgabe, innerhalb der Begrenzungen einen Weg zu finden, der die Bewegungen möglich macht. Dieses methodische Prinzip gewinnt an Genialität, wenn man über die Bedeutung für Improvisation nachdenkt.

In einer Improvisation entstehen Grenzen, entweder durch Absprachen oder Vorgaben oder aus dem Moment. Beispielsweise werden bestimmte Motive verwendet, durch die sich eine Begrenzung des Materials ergibt. Neben den Bewegungsmöglichkeiten kann man in der Feldenkrais-Methode lernen, wie man innerhalb von Grenzen seinen Spielraum auskosten kann. Man kann lernen, dass durch eine starke Begrenzung etwas entstehen kann, was absolut neu erscheint und dass es effektiver ist, innerhalb der Grenzen etwas zu suchen, als aus Verzweiflung die Grenzen zu durchbrechen. Um bei dem Beispiel mit den Händen auf dem Kopf zu bleiben: Es ist sinnvoller, wirklich eine Seitneigung zu suchen, als eine hauptsächlich große Bewegung, die aber mit Drehung ausgeführt wird. Auch kann es sein, dass es sehr ungewohnt ist, die Rippen so seitlich zu bewegen. In dem Fall ist es sinnvoller die Hände wirklich auf dem Kopf zu lassen und langsam mit kleinen Bewegungen die richtige Richtung zu suchen, als die Hände auf dem Kopf rutschen zu lassen, und damit eine vermeintlich große Bewegung vorzutäuschen.